Digitale Kunsthalle – Ausstellungen besuchen ohne dafür ins Museum zu müssen?

Ein Ticket braucht man nicht, auch kann man 24 Stunden nonstop durch die Hallen schlendern und Meisterwerke der Kunst bewundern. Das Projekt „digitale Kunsthalle“ – eine Kooperation von ZDFkultur mit diversen deutschen Museen – ist eine Weltneuheit und gleichzeitig ein vielversprechendes Zukunftsmodell, das einen unkomplizierten Zugang zur Kunst ermöglicht. Gerade wurde die Innovation unter großem Medienrummel der Öffentlichkeit präsentiert. Die Umsetzung des virtuellen Kunstgenusses stammt von ZREALITY, den Virtual Reality-Spezialisten aus Kaiserslautern.

Er sieht zum Anfassen echt aus, der weiße Hermelinmantel, den Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen um seine Schultern trägt. Der Maler Lucas Cranach d.Ä. hat den kostbaren Pelz, der im 16. Jahrhundert als Hoheitszeichen getragen wurde, meisterhaft auf die Leinwand gebracht. Auf gleich drei Bildern nebeneinander steht der Kurfürst dem Besucher in dem großen Museumsraum selbstbewusst gegenüber. Dabei sind diese Bilder eigentlich zurzeit gar nicht zu besichtigen, denn sie hängen nicht, wie sonst, im Weimarer Schloss, sondern befinden sich wegen Umbaus im Depot unter Verschluss. Dass sie trotzdem zu sehen sind – und zwar zu jeder Zeit an jedem Ort – ist neu und spektakulär. Mit einer virtuellen Kunsthalle hat die TV-Sparte ZDFkultur in Kooperation mit zahlreichen deutschen Museen ein neues Buch in Sachen Kunstpräsentation aufgeschlagen. Die Kunst kommt neuerdings zu den Menschen.

Kunst To Go

„Innerhalb eines interaktiven Web-Moduls bewegt sich der Besucher mit Handy oder Tablet durch ein Museum, das es so in der Realität gar nicht gibt“, erklärt Michael Neidhöfer, CEO von ZReality. Die Kaiserslauterner Virtual Reality-Schmiede entwickelt virtuelle Präsentationen für die verschiedensten Bereiche – für den Industrial-Markt genauso wie für den kulturellen Sektor. Der Gedanke hinter der „digitalen Kunsthalle“ ist, Werke aus weltweit verstreuten Museen in einem einzigen Kunstraum zusammenzubringen. „In Zukunft könnte das dann so aussehen, dass Bilder aus dem Louvre Paris, dem Moma New York oder anderen weltberühmten und auch kleineren Galerien und Museen und privaten Sammlungen an einem Ort zu sehen sind“, sagt Michael Neidhöfer.

Wie kann man sich so einen virtuellen Museumsbesuch überhaupt vorstellen? „Wie einen echten Museumsbesuch“, sagt Neidhöfer, „nur, dass man nicht herumläuft, sondern auch mal bequem von der Couch oder vom Café aus ein bisschen Kunst schnuppern kann.“ Und das ist längst nicht der einzige Vorteil. Die Anwendung verfügt über Features, die weit über einen realen Museumsbesuch hinausgehen: Hintergrundinfos zum Bild, zum Künstler, zur Zeit, in der der Künstler lebte und vieles mehr können direkt abgerufen werden. „Das ist ein toller Mehrwert, über die Bilder hinaus informiert und vor allem auch unterhalten zu werden“, so Neidhöfer. Der Medienrummel war groß, als das Projekt der Öffentlichkeit präsentiert wurde. „Die Resonanz war sehr erfreulich“, freut sich Yvonne Abbel, Leiterin Interactive, Digitale Medien bei ZDF Digital. Sie hat das Projekt von Anfang an mitbetreut. „Einige Museen sind schon aufmerksam geworden.“

Museumsbesuch im Pocketformat

Das verwundert nicht, denn die Museen sehen in diesem Tool eine große Chance, ein breites Publikum zu erreichen. Kunst wird damit plötzlich für alle zugänglich. Auch für diejenigen, die sich bisher nicht über die Museumsschwelle trauten ebenso wie für Nicht-Kunstexperten. Auf diese Weise bekommen auch weniger Kunstbeflissene einen leichten und unvoreingenommenen Zugang zur Kunst. Wer jetzt denkt, der virtuelle Rundgang sei ein zweidimensionales Erlebnis, ein Abklatsch eines realen Museums aufs Handy, der wird positiv überrascht. „Alles, was eine Museumsatmosphäre ausmacht, wie Räumlichkeiten, Lichtverhältnisse und Infotafeln, wurde durch innovative Technik und multimediale Inhalte auch in das virtuelle Museumskonzept integriert“ erklärt Michael Neidhöfer. „Der virtuelle Besuch wird zu einem spannenden Rundgang und damit zu einem völlig neuartigen Erlebnis.“ Den Auftakt der „digitalen Kunsthalle“ bilden von Werke Lucas Cranach d.Ä. und d.J. und – in Kooperation mit dem Gerhard Richter Archiv der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden – Werke Gerhard Richters, einem der bedeutendsten zeitgenössischen deutschen Künstlers, die in dieser Zusammenstellung noch nie gezeigt wurden. Außerdem wird die Ausstellung „Thomas Mann in Amerika“ des Museums des Deutschen Literaturarchivs in Marbach gezeigt.

Kunst 4.0

„Geplant sind auch real stattfindende Ausstellungen, die in der digitalen Kunsthalle virtuell in die Verlängerung gehen können“, so Yvonne Abbel. „Auf diese Weise sind außerdem thematische Ausstellungen möglich von Werken, die auf der ganzen Welt verstreut sind und die man niemals an einen Ort zusammen bekommen würde“, ergänzt sie. „Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Kunstpräsentation immer und überall. Eine Dimension, die man sich heute noch gar nicht vorstellen kann“, sagt Michael Neidhöfer. „Und zwar nicht nur im Bereich Kunst, wo Museen mit einem solchen System ihre Ausstellungen erweitern können, sondern auch für die Industrie bringt diese Technologie ungeahnte Möglichkeiten, wenn es um innovative Produktpräsentationen, beispielsweise in virtuellen Showrooms geht.“

Die digitale Kunsthalle ist nur ein Bereich des neuen digitalen Kunstraumes ZDFkultur, dessen Inhalte in der ZDF-Mediathek abgerufen werden können. Insgesamt 35 Partner, darunter Kulturinstitute, Museen, Theater und Opernhäuser aus allen 16 Bundesländern, sind an den Inhalten von ZDFkultur beteiligt. ZDF-Intendant Thomas Bellut bei der Vorstellung des neuen Formates auf der diesjährigen Berlinale: „Wir machen Kulturinhalte für jeden und jederzeit verfügbar. Dabei profitieren wir von der Vielfalt und Expertise unserer Partner und bringen selbst Reichweite und journalistischen Sachverstand ein.“

Auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin und Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder, Malu Dreyer, sagte bei der Eröffnung „Das ZDF zeigt mit ZDFkultur, wie der öffentlich-rechtliche Programmauftrag in der digitalen Zeit innovativ und attraktiv erfüllt werden kann. Als virtueller Treffpunkt für Kulturschaffende und Kulturinteressierte bietet das neue Format einen ebenso einfachen wie umfassenden Zugang zu Kultur.“

Nimmt die digitale Kunsthalle den echten Museen Besucher weg? „Keinesfalls“, so Yvonne Abbel, viel eher wird die Kunst für ein noch breiteres Publikum zugänglich und macht Appetit auf Kunst und Kultur im realen Leben. Im Übrigen auch barrierefrei.“

Schauen Sie jetzt doch einfach im virtuellen Museum vorbei:

digitalekunsthalle.zdf.de